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Iras Protest

Theaterstück (2007)


„Viertel vor zwei. Ein Glück, dass ich drinnen, nicht draußen bin. Draußen fällt die Welt auf den Kopf, entlädt sich wie ein Himmelsfurz. Was für eine Mordsspannung da abgeht. Kann den Tod förmlich riechen. Jede Spannung. Bin selbst wie elektrisiert. Trotz Faradayschem Käfig. Na ja, nicht ganz. Als ich hier eingezogen bin, habe ich gleich nach dem Blitzableiter gefragt. Es gibt einen, sonst wäre ich hier nicht eingezogen. Hoffentlich funktioniert er. Bin fast so sicher wie die Leute da draußen. Im Auto. Die haben ihren Käfig. Und ich habe meinen.“

IRA, 26, hat sich seit einem Jahr in ihrer Wohnung verschanzt und niemand hat es bemerkt. Freunde hat sie nicht mehr, ihre Eltern wohnen am anderen Ende von Deutschland und das Studentensekretariat schreibt höchstens Briefe in Beamtendeutsch, in denen man ihr die nicht absolvierte Zwischenprüfung vorhält. Selbst die Nachbarn MITTMANN, BRÜNNER und GRAHLICH haben keinen Grund mehr zur Beschwerde, denn Ira hört nicht einmal mehr Musik.

Weil es allein in einer Wohnung einsam ist, vertreibt sich Ira ihre Zeit mit Reden. Sie schimpft über hirnlose Hausfrauen, Deutschlands Studienbedingungen und ihren Bruder ERNST, der Arsch, der sich aus allem raushält. Und: Sie wartet auf den Anruf ihrer Mutter, AGNES GRÜNDLICH, die sich endlich von Iras Vater scheiden lassen soll, weil sie seit Jahren ihr wichtigstes Prinzip verrät.

„Sie lachte immer sehr hell, Frau Mutter, wenn jemand meinte, ihre drei Kinder könnten nur von drei verschiedenen Männern sein. Frau Mutter war stolz – und sie hatte „viele Chancen“ im Leben, wie sie sich ausdrückte – dass wir alle drei von ein und demselben Mann abstammten. Das war aber auch eines ihrer obersten Prinzipien: Nur Kinder von einem Mann haben. Niemals mit einem Mann zusammenleben, der Kinder von anderen Frauen hat. Vielleicht ein bisschen antiquiert, die Ansicht…“

Aber antiquiert hin oder her, Agnes Gründlich geht an ihrem Prinzipienverrat zugrunde. Denn ihr Mann hat nicht nur seit Jahren eine Geliebte, sondern mittlerweile einen kleinen außerehelichen Sohn. Ira hasst den „Bastard“ wie die Pest, ist er in ihren Augen doch der Inbegriff des Verrats, an ihrer Mutter und an der "glücklichsten Familie der Welt". Da klingelt mitten in der Nacht das Telefon. Doch am anderen Ende ist nicht Iras Mutter, sondern ein Mädchenmörder...

 

Iras Protest handelt von der Verzweiflung einer jungen Frau, die am eigenen Leib erfährt, wie die Ideale, mit denen sie groß wurde, Stück für Stück verraten werden. Unter Aufgabe ihrer selbst weigert sie sich, den Verrat zu akzeptieren. Durch ihr Opfer will sie ihre Umwelt zwingen, wieder zu dem zu werden, was sie früher war.

 

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